Pukekura: Pastete mit Staatsfeind Nr. 1


Wer dachte, nur das Wetter an Neuseelands West Coast sei wild, erkennt spätestens auf der Strecke von Hokitika nach Franz Josef seinen Irrtum. Regenwald überzieht hier das Vorland der Southern Alps, dessen Hügelketten bis fast ans Meer reichen und in denen an einem verregneten Tag wie diesem tief der Nebel hängt. Zweige und Stämme tragen lange Bärte aus Flechten und Ranken und hier und da ragen bis zu 60 Meter hohe Rimu-Bäume mit ihren knorrig-ausladenden, überwucherten Ästen aus dem undurchdringlichen Grün. Es würde mich nicht überraschen, wenn auch ein Dinosaurier aus dieser Kulisse gestapft käme.

Der Highway, nur eine schmale, kurvige Straße, wurde in den Berg hineingemeißelt, aber die Natur hat sich die steilen Böschungen längst zurückgeholt: Sie sind dicht mit Farnen überwuchert, die unserem vorbeirollenden Campervan links und rechts mit riesigen Blättern zuzuwinken scheinen. Hier gibt es so wenige SIedlungen, für die Farmland gerodet wurde, dass man sich gut vorstellen kann, wie sich das Land wohl den Maori und selbst noch den europäischen Siedlern dargeboten haben muss.

Eine dieser nur wenige Häuser zählenden Ortschaften mitten im Regenwald ist Pukekura, das wegen seiner ungewöhnlichen Spezialität eine gewisse Berühmtheit erlangt hat: Mit Possum gefüllte Pasteten. Wer davon nichts weiß, hat trotzdem gute Chancen, nicht einfach durch den Ort hindurchzubrausen (besonders schnell fährt man hier ohnehin nicht): Direkt an der Straße steht ein mannsgroßes Possum-Schild mit der Aufschrift „Pete’s Possum Pies“. Außerdem hängt an einem Balken, der aus dem Giebel zur Straße hin ragt, ein Insekt etwa von der Größe eines Kleinwagens. Es stellt, erfahren wir in dem kuriosen Souvenirladen, der zu Pete’s Restaurant gehört, eine gigantische Sandfly dar – jene die West Coast in Schwärmen heimsuchenden Biester, wegen denen man geradezu froh ist wenn es regnet, denn dann entgeht man ihren boshaft juckenden Stichen.

Aber zurück zum Pie: Wir haben Glück, denn gerade als wir kommen, bereitet die Köchin des Hauses frische Pasteten zu. Und während sie den Teig ausrollt, aussticht, in die runden Förmchen legt, festdrückt, mit einer Art Frikassee füllt, einen Teigdeckel darauf setzt und das Blech in den Ofen schiebt, erzählt sie uns, was das Besondere dieser Spezialität ist. Possums sind nämlich Neuseelands meist gehassten Tiere: Sie wurden von den europäischen Siedlern eingeschleppt, was der einheimischen Vogelwelt, insbesondere den flugunfähigen Piepmätzen wie zum Beispiel dem Kiwi, gar nicht gut bekam. Häufig sieht man sie plattgefahren auf der Landstraße liegen und wenn einem Neuseeländer eines dieser eigentlich sehr possierlichen Tierchen mit den großen Augen und dem spitzen Näschen vors Auto läuft, kann man davon ausgehen, dass er nicht ausweichen wird.

Und obwohl Petes Possum Pie die Spezialität des Hauses ist, kostet sie gar nichts. Es wird jedoch gerne eine Spende „gegen 1080“ entgegen genommen. In Neuseeland, erfahren wir, ist es nicht erlaubt, Possumfleisch zu verkaufen, das nicht von offizieller Stelle untersucht wurde. Daher die Spende. Das verwendete Fleisch sei jedoch von einem erfahrenen Jäger frisch erlegt und für gut befunden worden. Und: „Wir essen es auch selbst.“ Na dann. Als ich nachfrage, was es mit 1080 auf sich hat, redet sich die Köchin in Rage. 1080 sei Gift, das vom DoC, der Umweltbehörde des Landes, in dieser Region großflächig per Helikopter ausgebracht werde, um der Possumplage Herr zu werden. Als Kollatteralschäden stürben aber auch andere Tiere, außerdem blieben die toten Possums im Wald liegen, da man sie weder essen, noch ihr Fell verwenden könne. Viel besser sei es doch, die Tiere zu erlegen und zu verwerten, findet sie.

In dem Souvenirladen, der zum Restaurant gehört, gibt es jedenfalls Kleidungsstücke für alle möglichen Körperteile aus flauschigem Possumfell zu kaufen. Und der Pie schmeckt ehrlich gesagt sehr viel unaufregender als ich mir das ausgemalt hatte: Die Füllung erinnert mich sehr an Hühnerfrikassee, das Fleisch schmeckt höchstens einen Tick wilder. Was ja überhaupt nicht verkehrt ist, im Gegenteil: Wenn man sich mal überlegt, wie beliebt Geflügel ist, könnte man mit dem „free range possum“ das hier ein masse durch die Wälder streift, doch allerhand Sinnvolles anfangen.

Als wir weiterfahren, fallen sie uns plötzlich auch auf, die Schilder an den Zäunen der Farmen: „No 1080“. Ich fühle mich ein wenig ans Wendland erinnert. Nur dass es dort Castor-X-e sind, die die Leute an ihre Zäune nageln.

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