Durch Brandenburgs Alleen gegurkt


„Und, wohin fährst Du in den Urlaub?“ – „Nach Brandenburg!“ – „Oooh! Da möchte ich jetzt auch gerne hin!“ Ein Dialog, den es so wohl noch nie gegeben hat und womöglich auch nie geben wird. Selbst der Berliner fährt nur „endlich mal wieder raus ins Grüne“. Dass es sich dabei um Brandenburg handelt, wird bestenfalls billigend in Kauf genommen, wenn die Zeit nicht für einen Trip bis hoch an die Ostsee reicht. Ich glaube, Brandenburg ist das unterschätzteste unserer 16 Bundesländer. Und ich hätte nichts dagegen, wenn das noch eine Weile so bliebe.

Das habe ich letzte Woche während unseres Roadtrips kreuz und quer durch die Uckermark, die Region im Nordosten Brandenburgs mehr als einmal gedacht. Zum Beispiel wenn wir mit unserem Campingbus durch kopfsteingepflasterte Alleen rumpelten – Landstraßen, die schmaler und holpriger sind als eine Seitenstraße im tiefsten Neukölln. Dafür aber denkmalgeschützt. Und oft von alten Obstbäumen gesäumt, die voller Zwetschgen, Mirabellen, Birnen oder Äpfeln hängen. Oder wenn wir durch Dörfer mit Fachwerk- und Feldsteinhäusern rollten, vorbei an Gehöften in rotem Klinker, die aussahen wie gemalt. Vor allem aber schlägt mein Herz jedes Mal höher, wenn der platte Sandboden etwa eine Stunde nördlich von Berlin plötzlich in eine sanfte Hügellandschaft übergeht, der letzten Eiszeit sei Dank. Und in der Abenddämmerung, wenn wir auf einem Hof, neben einer Scheune oder einem Acker, unseren Stellplatz für die Nacht gefunden hatten, zogen oft vielstimmig krächzende Kranichschwärme über uns hinweg.

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Den Produzenten und Gastronomen, die wir unterwegs kennenlernten, würde ich es allerdings wünschen, dass sich ein paar mehr Leute hierher verirren. Es gibt nämlich inzwischen kulinarisch allerhand zu entdecken.

Zumindest wenn man die Augen aufhält oder, noch besser, im Besitz der Schatzkarte „So schmeckt die Uckermark“ ist, auf der 44 Höfe, Restaurants, Cafés, Läden und kleine Produzenten verzeichnet sind. Die hilft, den rechten Ort zur rechten Zeit zu finden, denn die Öffnungszeiten sind oft eingeschränkt und saisonal unterschiedlich.

Zum Beispiel das Café im Gutshaus in Friedenfelde, eingerichtet wie Omas gute Stube, wo wir nach dem Pilze Sammeln auf der Ofenbank saßen und von der Dame des Hauses gebackenen Dinkelvollkornkuchen aßen. Gluten- und teilweise laktosefrei sei er auch, hieß es auf der Tafel vor der Tür. Was wir dann auf unseren Tellern hatten, war geradezu sündhaft gut: Aprikose-Holunder-Joghurt-Torte für mich, Schokoladen-Espresso-Tarte mit Mandel für den Co-Jäger. Und dazu einen fair gehandelten Bio-Kaffe (das zweite e fehlt hier mit Absicht, die Betonung liegt auf dem a).

Oder den Gutshof Kraatz, auf dem Florian Profitlich Apfel-, Birnen- und Quittenweine keltert. Vor 13 Jahren hat der Berliner mit seiner Frau das Anwesen in der Nordwestuckermark gekauft und Stück für Stück renoviert. In seiner großen Scheune aus rotem Klinker verarbeitet er seit vier Jahren verschiedene Sorten aus der Region. „Hier in der Uckermark gibt es so viele Obstbäume, die einfach niemand aberntet,“ erzählt er uns, als wir am Abend einige Weine verkosten dürfen. Wir sitzen an der Theke der in die Scheune gebauten, gemütlichen Gaststube, in der man seit Kurzem am Wochenende auch Kleinigkeiten zu essen bekommt. Die vielen unbeachteten Bäume brachten Profitlich, ursprünglich von Beruf Fotograf, auf die Idee, denn eine Tradition, aus Äpfeln – wie etwa in Frankreich – alkoholische Getränke zu machen, gibt es in Deutschland nicht. Mit der Akribie eines Wissenschaftlers und der Begeisterung eines Foodies betreibt Profitlich sein Experiment, denn viele Fragen beantworten auch seine dicken Bücher nicht, in denen Pommologen hunderte Apfelsorten, hübsch gezeichnet oder fotografiert, katalogisieren. Wie reagiert diese oder jene Frucht bei der Gärung? Hat der Boden einen Einfluss auf Güte und Aroma? Manchmal auch ganz grundlegend: Um welche Sorte handelt es sich überhaupt?

Der Pfannkuchenapfel beispielweise habe ihn echt überrascht, erzählt er uns, während er uns etwas Pfannkuchenapfelwein (allein schon der Name zergeht auf der Zunge!) einschenkt. „Die Frucht selbst schmeckt nicht außergewöhnlich, aber ein Teil ihres Zuckers kann von den Hefen nicht zersetzt werden und verbleibt im Wein.“ Auch uns überrascht er positiv: Er schmeckt fruchtig und voll, ist dabei leicht (aber nicht zu) süß. An den Geschmack eines Apfelweins muss man sich aber erst einmal herantasten, stellen wir im Laufe des Abends fest. Der Hauswein ist uns entschieden zu mostig, um nicht zu sagen: so sauer, dass sich unsere Mundschleimhaut kräuselt. Die Kaiser Wilhelm Renette mit Quitte, unser Favorit, entwickelt dagegen auf der Zunge ein raffiniertes, vielschichtiges Aroma.

Nach der Weinprobe müssen wir zum Glück nur ein paar Schritte bis zu unserem Bus gehen. Der Gutshof ist nämlich Teil des „Landvergnügen“-Netzwerkes. Wir dürfen mit unserem Campingbus über Nacht zwischen der Scheune und einem Apfelbäumchen stehen und bekommen morgens sogar noch frische Brötchen zum Fenster hinein gereicht. Dankeschön!

Landvergnügen, das ist eine für Deutschland ebenfalls ganz neue Idee, die ursprünglich aus Frankreich stammt: Man kauft ein Buch mitsamt Vignette für das Wohnmobil und damit sozusagen eine zwölf Monate geltende Einladung, auf derzeit 320 Höfen in ganz Deutschland eine Nacht zu verbringen. Genau so etwas hatten wir uns während unserer Tour durch Neuseeland ausgemalt, wo es ein gutes Netzwerk sehr schöner und günstiger Campingspots mitten in der Natur gibt. Die Vorstellung, hier auf voll ausgestatteten kommerziellen Campingplätzen stehen zu müssen, fanden wir gruselig. Umso glücklicher waren wir, als wir „Landvergnügen“ entdeckten und feststellten: Da gibt es sogar noch ein Schmankerl obendrein: Auf jedem dieser Höfe kann man nämlich Dinge einkaufen, die vor Ort produziert wurden.

Wir haben eine Nacht auf einem Bioland-Hof in der Schorfheide gestanden und frische Eier von glücklichen Hühnern gekauft (bei deren Fütterung wir morgens zuschauen durften, was unser Kind sehr glücklich machte). Auf dem Straußenhof in Berkenlatten haben wir butterweiches Steak und fein gewürzte Bratwurst und Salami des Laufvogels probiert. Die Saison für die gigantischen Eier war leider schon vorbei, aber ich habe gelernt, dass jede Vogeldame pro Saison eine beeindruckende Anzahl von etwa 50 Eiern legt. Im Boitzenburger Land waren wir bei der „Apfelgräfin“ Daisy von Arnim zu Gast, in deren duftendem Hofladen im Haus Lichtenhain man so ziemlich alles, was man aus den Früchten herstellen kann (außer Alkohol), bekommt – was die Entscheidung nicht gerade leicht macht. Wir kauften kleine Gläschen mit Marmelade, die wir gleich auf die dicken Pfannkuchen strichen, welche wir in unserer Buskombüse brutzelten, und zum Nachtisch aßen wir weihnachtlich gewürztes Apfelbrot, das so gar nicht zu diesem herrlichen Spätsommertag passte und trotzdem so gut schmeckte, dass wir am nächsten Morgen gleich noch ein Glas kauften.

Einen Abstecher machten wir tief in den Osten Brandenburgs: In der Oderaue liegt am Ende einer Sackgasse der Ziegenhof Zollbrücke, dahinter kommt nur noch der Deich und die Oder und dann ist man schon in Polen. Oder vielmehr: Wäre man in Polen. Denn eine Brücke führt nur ein ganzes Stück südlich beziehungsweise nördlich über den Fluss. Und so war es hier noch ruhiger, schien alles noch geruhsamer abzulaufen, war es noch ein bisschen menschenleerer als in den Gegenden, die wir davor und danach besuchten. Bei unserer Ankunft am Nachmittag aßen wir einen sagenhaft guten Käsekuchen, der mit Quark aus der hofeigenen Ziegenmilch gebacken wurde, und zum Abendbrot probierten wir einige der Rohmilch-Frischkäse, die Michael Rubin selbst herstellt. Wir sollten doch am 3. Oktober wiederkommen, lud er uns ein, als er uns seine Käserei zeigte und wir beim Melken der Ziegen zuschauen durften. Da sei großes Hoffest und da gäbe es dann auch wieder Ziegensalami und -leberwurst. Wenn das Wetter mitspiele, kämen wahrscheinlich wieder zwei- oder dreitausend Besucher. Wiederkommen werden wir bestimmt … aber vielleicht doch lieber ein andermal. Menschenaufläufe kennen wir aus Berlin zur Genüge.

Salon im Gutshaus Friedenfelde
Ort Friedenfelde 6, 17268 Gerswalde
Tel. 039887-697699
www.salon-im-gutshaus.de

Gutshof Kraatz
Schloßstraße 7, 17291 Nordwestuckermark
Tel. 039859-63976
www.gutshof-kraatz.de

Straußenhof Berkenlatten
Ort Berkenlatten 7, 17268 Gerswalde
Tel. 039887-5087
www.straussenhof-berkenlatten.de

Haus Lichtenhain
Lichtenhain 25, 17268 Boitzenburger Land
Tel. 039889-8250
www.haus-lichtenhain.de

Ziegenhof Zollbrücke
Zollbrücke 20, 16259 Oderaue OT Zäckericker Loose
Tel. 033457-5065
www.ziegenhof-zollbruecke.de

Mehr über das Campen mit Landvergnügen unter www.landvergnuegen.com.

Kommentare

Eine Antwort zu „Durch Brandenburgs Alleen gegurkt“

  1. Avatar von Hans
    Hans

    Na,das ist doch mal eine tolle Sache!!!!!

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