Haast: Wo die eingefleischten Whitebaiter an den Flüssen campen


Hin und her haben wir überlegt, ob wir von Hokitika aus nach Norden oder Süden weiterfahren. Der Luxus, so viel Zeit zur Verfügung zu haben wie wir, bringt manchmal schwierige Entscheidungen mit sich. Der Norden lockt mit goldenen Stränden, der Süden mit Gebirge und gutes Essen wartet potenziell überall. Der Wetterbericht versprach allerdings überall Regen, Regen, Regen. Damit hatte auch der Norden seinen Trumpf – eigentlich immer besseres Wetter – verspielt. Nur in Hokitika schien an dem Tag, an dem wir eigentlich weiterfahren wollten, plötzlich die Sonne. Also verbrachten wir den Vormittag damit, an der Mündung des Flusses den Whitebaitern zuzuschauen, wie sie wieder und wieder ihre überdimensionierten Netze durchs Wasser zogen. Bis sich innerhalb von Minuten der Himmel verdunkelte, uns ein Wolkenbruch in den Bus zurücktrieb und wir an der Kreuzung spontan auf den Highway gen Süden einbogen.

Zwei Tage später, wir haben inzwischen den Franz Josef Gletscher gesehen und Lake Matheson, allerdings ohne den „View of Views“, denn Mount Cook war von Regenwolken verhangen, und auf einem Campingplatz im Regenwald übernachtet, sitzen wir in Haast fest. Und zwar ohne Handyempfang und damit auch ohne Internet. Was übrigens auch der Fall wäre, wenn gerade kein Gewitter über unseren Bus hinwegjagen würde, dessen Donner und aufs Dach prasselnder Regen sogar eine Unterhaltung unmöglich macht. Laut der Lady an der Rezeption gibt es nämlich auf der gesamten Strecke zwischen Fox und Wanaka keinen Empfang – das sind 260 Kilometer.

Aber es ist cool, dass wir hier festsitzen, weil der Haast Pass wegen des starken Regens, der einen Erdrutsch ausgelöst hat, gesperrt ist. Denn in Haast sind die wahren Whitebaiter am Start. Hierher kommen sie aus dem ganzen Land und campen wochenlang an den Flüssen.

Am Maori River, ein paar Kilometer nördlich von Haast, folgen wir einem Schild, das den Verkauf von frischem Whitebait verspricht. An der Gravel Road, die am Fluss entlang führt, parken Pick-Ups, uralte Wohnwagen und ein zum Wohnmobil ausgebauter Schulbus. Nach ein paar hundert Metern erreichen wir ein kleines, zusammengezimmertes Imbissbüdchen, das genau ein Gericht verkauft: Whitebait-Patties. Und zwar glutenfrei. Nachdem es in Pukekura noch Aufkleber mit Vegetarier-Witzen zu kaufen gab, bin ich ein wenig überrascht, diesen Hinweis zu finden.

Maria heißt die nette junge Maori, die hier frisch aus dem Fluss gezogenen Whitebait verkauft. Als sie an meinem Akzent die Touristin erkennt, erzählt sie mir, dass die Leute, die hier an den Flüssen campen, aus dem ganzen Land kommen. Einige bleiben für die ganze Saison. „Den Rest des Jahres ist hier nichts.“ Ich bin unentschlossen, ob ich frischen Whitebait kaufen und später selbst zubereiten oder einfach ein fertiges Sandwich kaufen soll. Sie holt eine postkartengroße, prall gefüllte Ziploctüte, aus der mich aus einer fast durchsichtigen Glibbermasse hunderte kleiner Augen anglubschen. Dann bereitet sie für mich mit geübten Handgriffen ein kleines Probier-Pattie zu. „Du musst nur ein bisschen Ei dazu geben, gerade so viel, dass die Fische zusammengehalten werden“, erklärt sie und gibt einen Klacks auf die heiße Platte. „Wenn die durchsichtigen Whitebait weiß werden, ist es Zeit, das Pattie zu wenden.“ Zack. Schön angebräunt ist die Unterseite. Kurz darauf legt sie es auf eine ungetoastete Weißbrotscheibe. Jetzt musst Du noch einen Spritzer Zitrone draufgeben und wenn Du magst ein bisschen Knoblauchsalz.

Während vor der Hütte schon wieder der Regen herunterprasselt, esse ich mein zweites Whitebait-Sandwich und es schmeckt noch besser als das erste. Als wir vom Hof fahren, hält dort ein Pickup, von dessen Ladefläche ein Mann in Gummistiefeln und Anglerhose zwei anscheinend sehr schwere Eimer hievt. Wie viele Whitebait-Tütchen wie das, welches ich gerade für $23 gekauft habe, da wohl drin sind? Schlechte Saison hin oder her: Das „Gold“schürfen an diesen Flüssen scheint sich zu lohnen.

Später bereite ich die Fischlein wie von Maria gelernt in unserem Campervan für uns zu. Verfeinert mit etwas Petersilie, die ich in einem Kübel auf unserem Campingplatz entdeckt habe. Frieda, meine sechseinhalb Monate alte Tochter, beobachtet mich dabei neugierig und greift dann, als wir uns zum Essen setzen, so energisch nach meinem Sandwich, dass ich sie einmal beißen lasse. Und dann nochmal und nochmal, so offensichtlich schmeckt es ihr. Ob sie jetzt die West Coast Ehrenbürgerschaft als jüngste Whitebait-Esserin bekommt?

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