Hokitika: Wo die Religion Whitebait heißt


Es regnet in Strömen in Hokitika und der Wetterbericht für die nächsten Tage verspricht Nieselregen, Schauer, starken Regen und Gewitter. Die Investition in ein paar Gummistiefel hat sich gelohnt (ganz abgesehen davon, dass die Dinger die Laune heben – ich ertappe mich dabei, grinsend durch Pfützen zu stapfen). Auch die Einheimischen lassen sich vom miesen Wetter nicht davon abhalten, stundenlang mit ihren großen Keschern am Fluss herumzustehen. Schließlich ist Whitebait-Saison und die geht nur zweieinhalb Monate. Da will man schließlich keinen Tag verpassen.

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Whitebait, das sind fingerlange, durchsichtige Fischlein, die im Frühjahr die Flüsse an der Westküste Neuseelands hinaufschwimmen. Die einen lieben sie – vor allem mit ein bisschen Ei und Mehl in der Pfanne zu einem Küchlein gebraten, mit einem Spritzer Zitrone verfeinert und zwischen zwei ungetoasteten Weißbrotscheiben gelegt, denn dann kommt der feine Fischgeschmack am besten heraus. Manche hassen sie aber auch oder finden sie gar eklig. Naja, man kann sich von den überdimensionierten Augen schon ein bisschen aus dem Sandwich heraus angestarrt fühlen und eine gewisse Ähnlichkeit mit Sperma ist auch nicht von der Hand zu weisen.

Von der langen Brücke aus, die über das Delta des Hokitika River führt, sehen wir die Whitebaiter überall am Ufer stehen: Die lange Stange mit dem großen, zipfelmützigen Netz am Ende in der Hand, manche angespannt wie zum Sprung bereit, den Blick konzentriert auf den zu ihren Füßen träge vorbeiziehenden Fluss gerichtet. Ich erkenne in dem leicht bräunlichen Wasser, auf dem die Regentropfen Kreise ziehen, rein gar nichts. Aber Graham, ein Mitt-Sechziger, dem ich eine Weile zuschauen darf, hat plötzlich etwas entdeckt. Ganz behutsam taucht er seinen Kescher etwa einen Meter vom Ufer entfernt ins Wasser, bewegt ihn dicht unter der Oberfläche ein paar Mal hin und her und holt ihn dann ein. Und tatsächlich, in der Spitze seines Keschers hängen nicht nur Blätter, da scheint auch etwas zu zappeln. Er knotet das Ende des Netzes auf und lässt seinen Fang in einen mit etwas Flusswasser gefüllten Eimer gleiten.

„Das reicht gerade für ein Whitebait-Pattie“, erklärt mir der pensionierte Gastronom mit Kennerblick. „Die Saison war bisher leider nicht sehr ergiebig. Zu viel Regen.“ Allerdings sei auch Sonnenschein keine Garantie, dass die Fischlein schwimmen. „Man weiß es vorher nie, ob sie kommen und wie viele. Es kann auch sein, dass die Whitebait an den dreien“ – er zeigt auf eine Frau und zwei Männer, die ein paar Meter Fluss abwärts von uns stehen und mit sehr ernstem Blick aufs Wasser starren – „vorbeischwimmen und erst bei mir näher zum Ufer kommen.“ Um sie anzulocken und um seine Chance, sie im Wasser zu erspähen, zu erhöhen, hat er zwei weiße Latten ins Wasser gelegt. Bei den Kollegen scheint mit weißen Kanistern, die auf dem Wasser schaukeln, eine Art Claim abgesteckt.

Er selbst stehe hier auch nur eine Stunde, aber für manch andere sei das Whitebaiting wie eine Sucht oder gar wie eine Krankheit, verrät mir Graham dann noch. „Die stehen hier jeden Tag, den ganzen Tag.“ Ein Stück den Fluss hinauf sehe ich einen anderen Mann auf einem Steg, unter dem auf der gesamten Länge Netze gespannt sind. „Für eine solche Konstruktion braucht man eine Lizenz, die kostet richtig Geld. Was ich hier mache, darf jeder.“ Während wir uns unterhalten, geht jener Profi-Whitebaiter nur hin und wieder ein paar Schritte auf und ab, die meiste Zeit steht er mit gesenktem Kopf da und starrt ins Wasser, als könne er so die glubschäugigen Gesellen beschwören, in seine Netze zu schwimmen. Dabei müsste er eigentlich gar nichts machen: Sollten sich Whitebait in seinen abgesperrten Bereich verirren, gibt es für sie dank der raffiniert aufgepannten Netze kein Entkommen.

Ich frage Graham, wie lange er schon nach Whitebait fischt. „Seit ich ein Teenager war.“ Und wie viel fängt er so in einer Saison? „Im besten Jahr habe ich mal 60 Kilo aus dem Fluss geholt. Wenn es gut läuft, tauchst Du einfach Deinen Kescher rein und ziehst ihn knallvoll wieder heraus.“ Plötzlich funkeln seine Augen und mir wird klar: Das Jagdfieber erwischt jeden hier.

Oder wie es an der Westküste so hübsch heißt:

„On the West Coast,
catching whitebait isn’t a hobby,
or a sport, or even a business
– it’s a religion.“

Mir hat das nach dem traditionellen Rezept zubereitete Whitebait Sandwich, das ich im „Pioneer on the Quay Hotel“ probiert habe, jedenfalls gut geschmeckt: Frisch gebratenes Pattie, mit einer feinen Fischnote und einem Spritzer Zitrone. Sogar das ungetoastete Weißbrot passte irgendwie gut dazu. Noch besser war aber das Menu, das mein Freund sich bestellt hatte: zwei Whitebait-Pfannküchlein mit einem Berg hausgemachter, dicker Fritten und saftigem Cole Slaw.

Pioneer on the Quay Hotel
80 Gibson Quay,
Tel. 03-7558641

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Kommentare

2 Antworten zu „Hokitika: Wo die Religion Whitebait heißt“

  1. Avatar von Nox
    Nox

    Taucht Whitebait im lokalen Fischhandel auf? Zu welchem Preis?
    Oder bekommt man es nur in verarbeiteter Form (Fritters etc.) zu Gesicht?

  2. Avatar von Julia
    Julia

    Wir haben frischen Whitebait in einem Büdchen am Maori River ein paar Kilometer nördlich von Haast gekauft. Schätze es waren 200 Gramm (war genug für 4 Patties) für $23.

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